Dies sind die Gewinner*innen der sechzenten Ausgabe des KFFK/Kurzfilmfestivals Köln. Drei Jurys vergaben fünf Preise. Dazu wurden sowohl im Deutschen Wettbewerb als auch im Kölner Fenster je ein Publikumspreis vergeben. Die Jurybegründungen sind hier zu sehen:
JURYBEGRÜNDUNG
Immer wieder ist es diese eine banal-zynische Frage, die dem jungen Somalier gestellt wird, die in ihrer Beiläufigkeit förmlich durch den Film schneidet: Wie geht es dir? Wie soll es einem jungen Menschen gehen, der weiß, dass sein Leben morgen enden wird? Sein Blick ist abwesend, eine Trance des Unausweichlichen. Er sagt, es ginge ihm gut. Ein Satz, so leer – so unendlich leer.
Will my Parents Come To See Me von Mo Harawe ist ein Film, in dem eine Welt verschwindet. In ungemein präzisen Bildern, die sich im Rhythmus einer Erwartung stillstellen, bahnt sich der Tod an. Die Schlachtbank ist bereits vorbereitet. Die Anschuldigung des Terrorismus fällt. Aber es ist nicht von Bedeutung. Der junge Mann, um den es geht, ist bereits verschwunden, noch bevor er gestorben ist. Die Eltern, sie kommen nicht, die Tür zum Besucherraum bleibt geschlossen. Dafür kommen die Tiere, deren gleichgültiger Blick keine Spur von Trost bietet. Der Tod ist eine Unerträglichkeit und diesem Film gelingt eine Formsprache der Schwere, deren Bilder nachhallen.
JURYBEGRÜNDUNG
Ein Leben als Protokoll; ein Zwischenergebnis muss gezogen werden. Nicht entlang der Gefühle. Nein, entlang der Zahlen: Wie viele Küsse hat man gegeben? Wie viele erhalten? Was ist die Anzahl der Beziehungen, die man geführt hat? Die Nüchternheit in Mohammadreza Farzads filmischen Autoporträt blättert sich zu einer berührenden Summe auf, die an keiner Stelle aufgeht, nicht aufgehen kann. Es ist von Anfang an ein unmögliches Unterfangen. Wenn dann am Ende gar nur noch die Zahlen auftauchen, das Gezählte aber unserer Vorstellung überlassen wird, entsteht die Offenheit eines Lebens, die zu einer Frage an jede Zuschauerin und jeden Zuschauer wird: Was würdest du zählen?
Zugleich ist Subtotals der Versuch einer politische Poetik, die sich in der Spannung zwischen den Wörtern und Bildern aufspreizt: Ein Bild vom Iran, von einem Land, das es so nicht mehr gibt – liegt hier in der Vergangenheit eine Zukunft? Ist die Zukunft ein Leben, in dem man auch scheitern darf? Mohammadreza Farzads Film ist ein Geschenk der Worte, die von Bildern umspielt werden.
JURYBEGRÜNDUNG
Es ist eine traurige Ironie, dass die Saisonarbeiter, denen der Film seinen Ort eröffnet, ihr Land verlassen, dabei aber niemals ankommen. Sie schuften sich in einem Dazwischen ab, während sie auf diesen gleichförmigen Baustellen unserer Häuser bauen. Diese Männer und Frauen sind die modernen Sklaven, Phantome der Arbeit, von denen jeder zu wissen glaubt, dass es sie gibt, von deren Existenz wir uns aber kaum einen Begriff machen.
Rumänien verlassen, das bedeutet Familie verlassen, um dann Geld schicken zu können, hinein in die Entfremdung und das Überleben, dass am Ende der Rechnung ein Rest ist, der nicht aufgehen will. Welches Geld, für welches Leben?
Jonathan Schallers Unfertiges Land kommt seinen Figuren unglaublich nah, ohne sich jemals in mitleidigen Kitsch und psychologisch-dramaturgischer Eindeutigkeit zu flüchten. Ein roher und gleichsam zärtlicher Sozialrealismus, der zeigt, was ist, und eine Spur in den Schmerz und die Einsamkeit dieser Menschen legt.
JURYBEGRÜNDUNG
Was würde man tun, wenn man wüsste, dass einem selbst oder seinen Geliebten unmittelbar die Gefahr eines nuklearen Angriffs bevorsteht? Gibt es noch etwas zu tun? Der Film ist eine epische Rekonstruktion eines wenig bekannten historischen Ereignisses: eine falsche nukleare Angriffswarnung, die am Sonntagmorgen, den 13. Januar 2018, auf Hawaii (US) stattfand.
Der Film entfaltet eine faszinierende und spannende Geschichte, wirft wichtige existenzielle Fragen auf und sendet eine kraftvolle Botschaft über die drohenden Gefahren der nuklearen Vernichtung, denen kein Ort der Erde, selbst der “Garten Eden” — das tropische Hawaii, entkommen kann.
Dieser Film wirft auch ein neues Licht auf den Wahnsinn militärischer Konflikte, in deren Mitte die Zivilbevölkerung die Hauptlast der Zerstörung trägt.
Das 42-minütiges Projekt ist eine inspirierende und technisch anspruchsvolle audiovisuelle Reise, die gescannte Umgebungen, Original-Sprachaufnahmen und Filmmaterial kombiniert.
Bei VR-Filmen will das Publikum mehr erleben, als nur zuzuschauen. Im Gegensatz zu bestehenden VR-Filmen mit fester Perspektive ist dieser Film so konzipiert, dass sich das Publikum im Raum der Szene bewegen kann, als wäre er real. Mit dieser Erfahrung wird das Publikum vom Zuschauer zum Darsteller und kann die Ernsthaftigkeit von Atomwaffen stärker spüren. Diese Arbeit erfüllt die Erwartungen an VR-Filme und vermittelt die Absichten des Projekts gut. Darüber hinaus war es eine kluge Wahl, die Cloud-Points des 3D-Scannens zu verwenden, um die menschliche Zivilisation auszudrücken, die von Atomwaffen wie Pulver zerkleinert werden könnte.
Die gut entwickelte Dramaturgie und der innovative künstlerische Stil machten dieses Projekt zu einem Favoriten der Jurymitglieder.
JURYBEGRÜNDUNG
Kirschknochen hat die WDR-Jury beeindruckt durch seine präzise und dabei leichte Schilderung des Verhältnisses der Animationskünstlerin Evgenia Gostrer zu ihren Eltern. Für die Erzählung ihrer eigenen Zuwanderungsgeschichte nutzt Evgenia Gostrer in Kirschknochen eine Animation aus Knete in Verbindung mit realen Foto- und Filmaufnahmen. Die leuchtend transparente Farbigkeit dieser besonderen Trickfilmtechnik macht neugierig auf die zugrundeliegende Technik. Evgenia Gostrers Bilder wirken in ihrer Flächigkeit zugleich dreidimensional. Es entstehen Konturen, die man mit den Fingern zu spüren meint. „Kirschknochen“ führt mit detailreichen Bildern und leichter Hand zu seinem Thema: Migration. Evgenia Gostrer ist 1996 als 14jährige mit ihren Eltern und einem Geschwister als jüdischer Kontingentflüchtling aus der früheren Sowjetunion nach Deutschland eingewandert. Ganz beiläufig erzählt die Regisseurin vom Verlust der Ausdrucksfähigkeit durch den Verlust der Sprache und den Brüchen der Biographien der Eltern, die sie für die Zukunft ihrer Kinder in Kauf genommen haben: früher Kardiologe und Bauingenieurin, dann Krankenpfleger und Büroaushilfe. Mit Dankbarkeit, aber ohne jeden Pathos, schildert Evgenia Gostrer, wie aus ihr eine Künstlerin werden konnte, weil ihre Eltern ihr die Freiheit ermöglichten und ließen. – Herzlichen Glückwunsch, Evgenia Gostrer!