Dies sind die Gewinner*innen der vierzehnten Ausgabe des KFFK/Kurzfilmfestivals Köln. Drei Jurys vergaben fünf Preise. Dazu wurden sowohl im Deutschen Wettbewerb als auch im Kölner Fenster je ein Publikumspreis vergeben.
JURYBEGRÜNDUNG
Steffen Goldkamp taucht mit uns ein in den monotonen Tagesablauf in einer Jugendvollzugsanstalt. Ben Voit nimmt uns mit auf eine nächtliche Fahrt von Helfern, die sich um in große Not geratene Obdachlose kümmern. Beide zeichnen sich durch eine besondere Diskretion aus. So verzichten sie komplett auf Interviews, beobachten nur und die unterschiedlichen Protagonisten sind nie zu erkennen.
In NACH ZWEI STUNDEN WAREN ZEHN MINUTEN VERGANGEN steht der immer gleiche Alltag der inhaftierten Jugendlichen im Fokus, wie sie Essen, Schlafen, sich gegenseitig die Haare schneiden oder die Flure Putzen. Abwechslung bietet lediglich das Telefonat eines Protagnisten, in dem er sich nach seiner alten Gang, nach der Außenwelt erkundigt. Doch vor allem heißt es warten, warten darauf, dass die Haftzeit endlich vergehen möge. Gerade diese Stille, auf bildlicher und akustischer Ebene, lässt die Zeit gerinnen. Diese unausweichliche bleierne lange Weile legt sich gleichsam körperlich spürbar auch über die Zuschauenden. Eine Schildkröte die nach vielen Versuchen endlich die Türschwelle nach draußen überwindet, bietet einen kleinen Hoffnungsschimmer.
Nacht über Kepler 452B (Regie: Ben Voit)
JURYBEGRÜNDUNG
Gerade der Anfang von NIGHT UPON KEPLER 452B arbeitet mit Formen der Abstraktion. Durch den Einsatz von Unschärfen und Blendenflecken entsteht eine nicht eindeutige Szenerie, die anfänglich Raum für Spekulationen lässt. Erst in den kurzen Dialogen wird deutlich, dass es sich um Obdachlose handelt, die dringend Hilfe benötigen. In Statements kommen sie selbst zu Wort und geben einen ganz eigenen Blick auf die Welt und vor allem die Nacht preis. Tröstlich mag die Vorstellung sein, auf dem ursprünglich als erdähnlichster Planet eingestuften Kepler-452b eine für sie stimmigere Lebensrealität vorfinden zu können. 1.400 Lichtjahre von der Erde entfernt zieht dieser Exoplanetenkanditat seine Bahnen.
JURYBEGRÜNDUNG
Ein komplex erzählter, vielschichtig, phantasievoll und assoziativ gestalteter Animationsfilm, der uns auf eine Reise in den vermeintlich absurden Alltag und die Innenwelt seiner Protagonistin mitnimmt. Der Film bietet weder einfache Botschaften und Antworten an, noch möchte er oberflächlich dechiffriert werden. Vielmehr gelingt es ihm, uns eine Projektionsfläche für eigene Reflektionen in einer immer komplexer werdenden Lebenswirklichkeit zu bieten und autonome innere Denkprozesse und Fragen in Gang zu setzen.
JURYBEGRÜNDUNG
Ein virtuos erzählter Kurzspielfilm über einen Tag an einer Schule in Ungarn, an dem der Premierminister als Gast erwartet wird und eine Schülerin ihm zu Ehren ein Nationalgedicht vortragen soll. Neben dem Schulbetrieb laufen die Vorbereitungen für dessen Empfang wie beinahe beiläufig. Eine Torte mit den Umrissen und Regionen des Landes, eigens für diesen Anlass gemacht, wird zum Sinnbild und zur Projektionsfläche. Dem Film gelingt es nicht nur, uns mit scheinbarer Leichtigkeit in einen authentischen und hervorragend inszenierten Mikrokosmos zu entführen, sondern auch, uns durch eine konstant subtextuale Ebene und mit lakonischem Humor, für den Zustand, die Polarisierung und Zerrissenheit einer Gesellschaft und Nation mitten im demokratischen Europa zu sensibilisieren.
Deutscher Wettbewerb
Lobende Erwähnung
La Espera (Regie: Danilo do Carmo & Jakob Krese)
JURYBEGRÜNDUNG
Mexiko, an der Grenze zur USA: die Sonne ist bereits untergegangen.
Im Rot-Pink-Violett eines nicht enden wollenden Nachteinbruchs, beobachten wir Menschen beim gespannten und doch seltsam alltäglichen Ausharren in Unsicherheit und beim Warten auf eine Entscheidung, wann es für sie weiter geht. Eile scheint zunächst nicht geboten, ist doch Nahrung, im Gegensatz zu früheren Stationen, hier genügend vorhanden und zahlreiche Lagerfeuer tragen die konträr zur Angespanntheit vorherschende romantische Atmosphäre des Sunsets bis in die Nacht hinein. Doch die nächste Caravane rückt näher. Der Zug am Morgen soll der sein, auf den man nun aufspringen wird. Er, ›das Beast‹ als Heilsbringer. Noch so eine Ambivalenz, die wie im Bild, aber auch in einem genialen Ton intensiv spürbar wird.
„La Espera“ gibt ein wunderbares Beispiel wie im Film eine präzise konzipierte Ästhetik, auch bei großen politischen Themen, noch vielschichtige Reflexionsräume öffnen kann.
JURYBEGRÜNDUNG
Aus einem einzigen Standpunkt heraus, schafft es dieser 360° Animationsfilm unscheinbar und subtil, den kompletten Wandel einer Gesellschaft anhand eines Hauses und ihrer Straße zu erzählen.
Wir werden Zeuge, wie das einst idyllische Leben und die Natur durch Bauprojekte ersetzt werden und mit den immer neu auftauchenden Moden, auch die Bewohner des Hauses älter werden. Großstädtische Brücken und Hochhäuser werden erbaut, bis schließlich der gesellschaftliche Zerfall beginnt und die verwahrlosten Straßen von radikalen Ideologien dominiert werden.
Die 3D-Animationstechnik ist mit ihrer reduzierten Farbdramaturgie und flächigen Form, genau in der richtigen Dosis um das Wesentliche in den Fokus zu rücken. So schafft es dieses Werk, auf subversive Art die Schattenseiten des Neoliberalismus und darauffolgende religiöse Unterdrückungen spürbar machen.
Mit klug gesetzten Akzenten wird in einer Zeitspanne von 40 Jahren ein architektonischer und modischer Wandel so porträtiert, dass man als Betrachter einen nachhaltigen Anstoß zum Nachdenken verspürt, dass vermutlich, in keinem anderen Medium, so gut funktionieren würde.
Darum wir uns als Jury entschieden, den diesjährige KFFK VR-Preis an „Replacements“ von Jonathan Hagard.
JURYBEGRÜNDUNG
Die Filmemacherin Beina Xu hat keinen Protagonisten. Sie erzählt mit ihrem Team, wie ein Syrer 2017 von Athen nach Brüssel flieht. Aber die Menschen, von denen sie erzählt, auf deren Spuren sie sich begibt, sind nicht im Film zu sehen, bleiben anonym. Es bleibt unklar, ob die Flucht-Geschichte des Syrers mit der gestohlenen italienischen Identität „Alberto Santos“ wahr oder erfunden ist. Wichtig ist, am Ende wird eine Geschichte erzählt, authentisch, ästhetisch, atmosphärisch, da hat es jemand nach langem Warten beim elften Versuch geschafft mit gestohlener Identität nach Brüssel in die EU einzureisen.
Ob die Filmemacherin Beina Xu aus der Not eine Tugend gemacht hat, vielleicht weil der Protagonist sich verweigert hat, erfährt man nicht. Am Ende bleibt eine gelungene Erzählung — und eine kluge Reflexion über das Filmemachen.